Schulmeister mit 17 Jahren?

Hier ein Bericht von Donatus Joos, wie er als 17-jähriger zum Schulmeister ernannt wurde:

Donatus Joos 1959

«Nachdem ich meine Schulzeit beendet hatte, war ich ein Jahr lang den Eltern behilflich am Fuhrwerk, auf dem Felde und im Holz. Im Spätherbst 1851 wurde mir eines Tages so ganz unerwartet durch einen Schulvorsteher gemeldet, ich sei für den eintretenden Winter zum Lehrer der unteren Klassen der Gemeindeschule mit einer um Fr. 10.- aufgebesserten Besoldung von total Franken 85.- ernannt. Ich möge Rücksprache mit meinen Eltern halten und in Kurzem anzeigen, ob ich die Wahl annehmen wolle oder nicht. «Welch ein Ansinnen», dachte ich und wollte mich vor Blödigkeit verkriechen. Noch kurz vorher hörte ich eine Nachbarin zu meiner Mutter sagen: «0 Nani, es scheint dein Donatus will seine Kinderschuhe sein Lebtag nicht austun.» «Er ist aber auch schwach und klein», entgegnete meine Mutter, worauf die Nachbarin rasch bemerkte: «Denk aber, siebenzen Jahre alt und immer noch mit Kindern spielen.» Ja ich war noch ganz ein Kind und nun sollte ich als Lehrer figurieren. Nein das kam mir wie ein Hohn vor. Dennoch musste es sein. Von meinem wiederholten: «ich darf und kann nicht», nahmen meine Eltern keine Notiz Sie drohten mir dies und das, wenn ich die angetragene Stelle nicht annehme. Damit ich so viel wie möglich das Aussehen eines Schulmeisters habe, dafür schien meine 1. Mutter nach Kräften sorgen zu wollen, indem sie mir mit aller Sorgfalt die Kleider herrichtete, zum Teil herrichten liess. Das Übrige wird sich schon machen, mochte sie gedacht haben.

Am Morgen des ersten Schultages waren Vater und Mutter auf das Eifrigste beflissen, mir Mut einzuflössen. Auf meine besorgte Frage, ob es ihnen gering dünke, Lehrer zu sein? Antwortete die Mutter»: die Schulherren kennen dich schon so weit und verlangen und erwarten nichts Grosses von dir. Fasse doch mehr Selbstvertrauen und tritt mutig auf, so geht es mit Gottes Hilfe besser, als du wähnst. Fällt dir aber das Herz in die Hosen, so schlägst du dich selbst». Das war nicht umsonst. Ich nahm mir vor, mich stark zu machen und meine Blödigkeit zu überwinden. Aber wie ein Hirsch, der den Hund nicht mehr zu fürchten vorgab und beim ersten Wau aus der Ferne über alle Berge floh, so entfiel mir der Mut, als ich in die Schulstube trat und die andern zwei Lehrer, Fremde, mir die Hand bietend entgegen kamen und meinen kurzen Gruss mit einem freundlichen «guten Tag, Herr Kollega» erwiderten. Das Wort «Herr Kollega» klang für mich zu gewichtig. Nach einer Ansprache vom Herrn Pfarrer als Schulratspräsident. Einteilung der Klassen und kurzer Visitation der Kinder wurde Schluss gemacht. Als ich nachmittags in meine Klasse kam und sehen musste, wie die Kinder in die Hände klatschten vor Freude über ihren neuen Schulmeister und dass ich mit Mahnen und Warnen nichts schaffte, sondern viel ein grösseres Getümmel ward, so klopfte mir das Herz gewaltig in meiner schwachen Brust. Erst als die Kleinen erfahren mussten, dass ich für Ungehorsam auch strafen könne und dürfe und wenn es sein müsse noch recht empfindlich, so hielten sie fürs beste sich still und ruhig zu verhalten. Ja, mit der Zeit durfte ich die Freude haben, sie so lenksam zu sehen, dass ich selten Strafe anwenden musste. Da vollends Vorsteher und Eltern mir das Zeugnis der Zufriedenheit gaben, was Wunder, wenn in mir das Kindergefühl sich verlor und etwas vom Schulmeisterbewusstsein sich geltend machte».

Der damals erst 17.-jährige Donatus Joos wurde dann. später doch Lehrer. Er schreibt darüber folgendes:

«Erst im Jahre 1859 – ich war jetzt 24 Jahre alt und hatte schon mehrere Jahre oder Winter unterrichtet in Andeer und Clugin – wurde in Chur ein Lehrerpatentierkurs abgehalten. Ich machte mit. Nach Beendigung desselben fand eine Prüfung statt. Ich erhielt einen Fähigkeitsausweis freilich bloss Nummer «Mathe am Letzten» Ich war trotzdem sehr zufrieden. Ich hatte nun den Vorteil als Lehrer mit Patentausweis Fr 20 bis 40 Besoldungszulage pro Winter zu erhalten. Ich muss noch nachtragen, dass ich in Chur während des zweiwöchigen Kurses Fr 7. pro Woche erhielt, was zur Deckung aller meiner Kosten reichte.» [1]

  1. Die Entlöhnung der Lehrer erfuhr nach und nach eine wesentliche Erhöhung und 1886/87 betrug dieselbe in Andeer:
    Reallehrer Lorenz Hunger Franken 530.00
    Johannes Joos, mittlere Klassen Franken 500.00
    Anton Lanicca, untere Klassen Franken 480.00
    Schulabwart Franken 50.00

    Da die Schule nur 6 Monate dauerte, war auch das Lehrergehalt einzig für diese Zeit berechnet. Was der Lehrer im Sommer tat, kümmerte die Gemeinden nicht, und ebenso wenig wovon er und seine Familie leben sollten.