Handwerk und Gewerbe

Weitgehende Selbstversorgung war in einem Dorfe oder Tale nur möglich, wenn es ausser Landwirten auch Handwerker und Gewerbetreibende gab.

Küfer

Als Pfarrer Matli Conrad in Andeer lebte, wies das Dorf nach seinen Angaben 4 Kaufläden und 7 Wirtshäuser auf. Zwei Bäckereien sorgten für gutes Brot. Als Handwerker waren anzutreffen Schmiede, Schreiner, Zimmerleute, Wagner, Küfer, Färber, Gerber, Sattler, Schuster und zuweilen auch Schneider, Hutmacher, Kupferschmiede und Salpetersieder.

Alleinstehende Frauen verdienten sich oft ihren Lebensunterhalt als Weberin, Spinnerin oder Wäscherin. Der steigende Waren- und Reiseverkehr gab gewissen Berufen Auftrieb wie etwa dem Speditionsgewerbe. [1]

Aus dieser Aufzählung der damals im Dorfe ansässigen Handwerker wäre man versucht den Schluss zu ziehen, dass die Erlernung und Ausübung eines dieser Handwerke verlockend gewesen sei. Dem war aber nicht unbedingt so.

Unter den schädlichen Vorurteilen gehörte auch hier die entscheidende Abneigung gegen Handwerker. Die Quelle dieser Abneigung lag in der Furcht, ausgelacht zu werden oder sich mit einem Handwerk nicht ernähren zu können. [2], so berichtet Pfarrer Conrad:

«Sowohl der Maulwurfsfänger (talper) wie der Kaminfeger (spazzatgamegn) könnten mit einem jährlichen Einkommen von 200 Gulden rechnen, ein Betrag, den mancher Schamser brauchen könnte.»

Auch die Erlernung des Schneiderberufs (cusunz) lag unter der Würde eines Schamsers. War kein Zugewanderter dieser Berufsart zugegen, besorgten Schneiderinnen (cusunzas) die Anfertigung von Männeranzügen. [3]

Von den Einheimischen noch recht gerne ausgeübte Betätigungen waren das Schmiede- und Zimmereihandwerk. Andere versuchten nebenbei als Kohlenbrenner etwas zu verdienen. [4] Auffallend ist besonders, dass Schamser sich auch dem Holzflössen widmeten, was jeweils von Chur weg bis Rheineck am Bodensee geschah, eher selten bereits von Thusis weg. Bei unseren Vorfahren war die Redensart geläufig «ir antocan Rhineck» (bis nach Rheineck gehen), womit man ganz allgemein eine recht weite Wegstrecke andeuten wollte. [5]

Der Steinhauerberuf wurde auch hin und wieder von Leuten aus Zillis und Andeer erlernt. Die Erzeugnisse ihrer Hände Arbeit sind noch zahlreich vorhanden: Brunnenstöcke und Tröge, dann Bodenplatten, Stufen, Einfassungen für Türen oder Fenster, Grabplatten und anderes mehr. Auf dem Maiensäss «Promigiur» liess seinerzeit Leutnant Jakob Fravi aus einem Granitbrocken einen Brunnen hauen, der sich originell ausnimmt und bis auf den heutigen Tag seine guten Dienste leistet. [6]

Zur Mithilfe im Hause, im Stall und auf dem Felde wurden viele Hilfskräfte benötigt, die nicht alle im Dorfe angeworben werden konnten. Als fleissige Dienstboten galten die Leute aus den Ferreras, dann aber auch solche aus dem benachbarten Italien. [7] Gar mancher oder manche aus dem Valle San Giacomo waren im Schams wie zu Hause, weil sie während Jahrzehnten jeweils vom Frühling bis zum Herbst bei uns ihre Arbeit verrichteten. Geneckt wurden sie mit dem Namen «Scanabecs», während sie uns etwa «Zecchini» titulierten, was so viel wie Rappenspalter heissen könnte (Zecchino = Zechine, eine frühere italienische Geldmünze).

Das Fehlen eigener Handwerker in ausreichender Zahl führte notgedrungen zum Zuzug solcher von auswärts, nämlich aus Italien, Österreich und Süddeutschland, seltener aus dem Schweizer Unterland. Auffallend gross war der Anteil Walser, die sich in Andeer niederliessen, was die Namen folgender früher hier ansässigen Familien beweist: Guler, Schumacher, Putscher, Gartmann, Tester, Hunger, Meuli, Wieland, Engi, Weibel, Juon, Simmen, Gredig, Buchli, Schocher, Trepp, Fintschi und einige mehr! Einzelne der genannten stammten aus dem Avers oder Rheinwald aber kamen von Tschappina und Mutten. Verhältnismässig stark vertreten waren die Zuzüger aus dem Safiental.

Nun kamen diese letzteren nicht über den «Glaspass» oder die «Alp Anarosa» nach Schams, sondern vom Rheinwald heraus, wo sie sehr oft einen längeren, vielleicht Jahre dauernden Aufenthalt, eingeschaltet hatten. Sie zogen dann wohl weiter, weil für manche unter ihnen sich im Rheinwald keine Möglichkeit bot, eine gesicherte Lebensstellung aufzubauen. [8]

Fest steht, dass den Safiern unser Tal im Allgemeinen behagte, vielleicht des milderen Klimas und des leichteren Lebenskampfes wegen. Die Anpassung an hiesige Verhältnisse fiel ihnen nicht besonders schwer. In konfessioneller Hinsicht zogen sie am gleichen Strick, was in damaligen Zeiten günstig bewertet wurde. Die sprachlichen Schranken wurden überwunden und die Kinder der zugewanderten Handwerker betrachteten sich als vollwertige Schamser. [9]

Das handwerkliche Können dieser Leute aus dem Safiental und aus den anderen von Walsern bewohnten Orten muss befriedigend gewesen sein, weshalb sie auch oft ins Bürgerrecht aufgenommen wurden, was für jeden Zuzüger ein erstrebenswertes Ziel war.

Was die zugewanderten Italiener anbetrifft, gingen diese namentlich sprachlich sehr rasch in unsere Gemeinschaft auf. Sie haben deshalb früher zur Erhaltung des Romanischen in unseren Dörfern beigesteuert. Italienische Familien, die hier sesshaft wurden und das Schweizerbürgerrecht erwarben sind: Torri, Lombardini, Pezzoni, Lallo, Giani, Manzoni, Pajarola, Gasparini, Mainetti und Cerletti.

Die berufliche und erwerbstätige Gliederung der heutigen Einwohnerschaft.

Andeer weist eine stattliche Anzahl Gewerbebetriebe auf. Dazu gehören mehrere Bauunternehmungen, Ingenieur und Planungsbüros, ein Beton und Kieswerk, Schreinereien, Garagen mit Werkstätten, ein Transportunternehmen, eine Gärtnerei, Ateliers oder Werkstätten für Maler, Restaurateure, Installateure. Seit alters her zählt das Dorf zwei Bäckereien, eine Milchzentrale, eine Metzgerei, ein Lebensmittelgeschäft.

Ein leistungsfähiges Gewerbe ist dasjenige, das sich die Gewinnung und Aufarbeitung von Granit zum Ziele gesetzt hat. Steinbrüche im heutigen Sinne waren ehedem unbekannt. Es wurden lediglich, vereinzelte im Feld und Wald herumliegende Steine oder Felsstücke bearbeitet und der Tätigkeit eines Steinmetzes oder Steinhauers (tagliacrap) gingen wenige nach. Die letzten zwei Männer, die auf die beschriebene Weise Granit ausbeuteten, waren Nikolaus Pedrett und Peter Mani. Der Sohn des letzteren, Mon Mani, der vom Vater den Beruf erlernt hatte, startete dann einen Steinbruch auf Bärenburg, wo er hin und wieder auch italienische Arbeitskräfte beschäftigte.

Abraham Conrad erkannte ebenfalls, dass die Aussichten für die Gewinnung von Andeerer Granit vielversprechend sein würden, deswegen eröffnete er ein solches Unternehmen im Jahre 1906, das heute noch besteht. Es wurde im Laufe der Jahre ausgeweitet und zeitgemäss eingerichtet. Die Firma unter dem Namen «A. Conrad AG Granitwerke» bekannt wird von einem Enkel des Gründers gleichen Namens geführt. Im Steinbruch oder «Cava» finden eine ansehnliche Zahl von Angestellten und Arbeitern ganzjährig Beschäftigung.

Die Ausbeutung und Aufarbeitung von Granit findet an folgenden Örtlichkeiten statt: In «Rùncs» bzw. «Culmet» (A. Conrad AG) in «Parsagna» (Toscano AG) welche Firma seit einigen Jahren auch den von Luzi Cadosi betriebenen Steinbruch auf «Bärenburg» bzw. «Crap da Sal» übernommen hat. Auch dieses Unternehmen weist eine Reihe von Arbeitsplätzen auf.

Der Granit aus Andeer ist ein bekannter Begriff. Stolze Brunnen aus diesem grünen Stein zieren Dorf und Stadtplätze und schlichte, gediegene Grabsteine verschönern viele Friedhöfe.


In den letzten Jahrzehnten haben sich tiefgreifende Wandlungen in Bezug auf die Zusammensetzung unserer Bevölkerung vollzogen. Stark abgenommen hat die Anzahl der in der Landwirtschaft tätigen Andeerer. Stärker vertreten ist nun die Gruppe der Angestellten, sei dies nun bei der Gemeinde, Kanton, Bund, bei den Kraftwerken und den übrigen Unternehmungen. [10]

Das Gastgewerbe hat ebenfalls an Boden gewonnen, wozu sicher auch das neue Heilbad beigetragen hat.

Weniger belebt als in früheren Zeiten ist heute das Dorfzentrum. Der Grund ist darin zu sehen, dass sich die Bevölkerungszahl zurückentwickelt hat und dass viele Andeerer Familien es vorgezogen haben, ein eigenes Haus ausserhalb des eigentlichen Dorfkernes zu bauen.

  1. Auch damals wurde manches von auswärts bezogen. Begehrt waren z. B. Seidentücher, Kastanienmehl «Mitgas da Clavena» (eine Art Schilten Brot) usw. Diese Artikel wurden von Cläven (deutsch für Chiavenna) bezogen.
  2. Ähnlich wie Pfarrer Matli Conrad in seiner Beschreibung des Schamsertales, berichtet auch Pfarrer Jeremias Gotthelf über die Zustände im Emmental.
  3. Eine Schneiderin bekam vor hundert Jahren für die Anfertigung eines Hemdes Fr. 1.20, für Männerhosen Fr. 2. Ihr Lohn auf der «Stör» war Fr. 1.- und zusätzlich Verköstigung.
  4. Im Jahre 1841 liess die Gemeinde Windwurfholz am «Fistatg miez» und «Burtgeta» zu Holzkohle brennen und diese wurden dann sackweise versteigert.Etwas später stellte Johannes Fimian das Gesuch, Kohle für den Eigenbedarf zu gewinnen. Es wird ihm die Erlaubnis erteilt Holzkohle (60 Säcke) brennen zu dürfen, und zwar auf «Fusos» Mit den beiden Schmieden namens Pedrett war eine gleichlautende Vereinbarung ein Jahr zuvor getroffen worden.
  5. Hans Ardüser erwähnt in seiner Chronik, dass 1604 ein Mann aus Schams als Flösser tödlich verunglückt sei.
  6. Bei den Steinhauern (tagliacraps) war die Silikose, die tätigkeitsbedingte «Steinkrankheit» nicht unbekannt. Gemäss Eintrag im Kirchenbuch von Andeer starb 1815 Jakob Catrina an diesem Leiden.
  7. Als unsere Landwirtschaft noch nicht motorisiert war, galten die Mähder aus Italien als geschätzte Hilfskräfte. Es waren meist grosse und starke Männer, die überall eingesetzt werden konnten. Sie kamen zunächst ins Domleschg, um dort zu heuen, dann nach Schams und schliesslich zogen sie nach Avers und Rheinwald. Jeden Sommer lief es so ab.
  8. Curo Wieland, Pignia, 1851-1935 erzählte gerne von seinem und seiner Vorfahren Leben. Sein Grossvater J. J. Weiland sei aus Safien gekommen und sei viele Jahre als Senn in den Alpen tätig gewesen. Die übrige Zeit des Jahres sei er seinem Beruf als Schmied nachgegangen und habe immer ein Auskommen gefunden.
  9. Die deutschsprachigen Einwohner der Täler Avers, Rheinwald und wohl auch diejenigen aus dem Safien und Valsertal besassen Kenntnisse der italienischen Sprache, was ihnen das Erlernen des Romanischen erleichterte. Die Leute aus den beiden Ferreras verständigten sich früher mit den Avnern in der Regel auf Italienisch. Anderseits trachteten die Thusner Wirte und Handelsleute die Romanische Sprache genügend zu beherrschen, um mit ihrer Kundschaft aus Schams, Heinzenberg, Domleschg und aus dem Oberhalbstein verkehren zu können.
  10. Einwohnerzahl von Andeer im Jahre 1950 635. 36 selbständige Landwirte, 44 Gewerbetreibende, 41 Angestellte, 17 selbständige Kaufleute, 40 gelernte Arbeiter, 65 ungelernte Arbeiter, 17 Privatiers.