Die Landwirtschaft

Über die Rodungstätigkeit unserer Vorfahren, um Acker- Wies- und Weideland zu erhalten, ist wenig bekannt. Die Flurnamen «Rùncs», «Runtgets», «Cuminal», «Ruagn» und die Gemeindelöser (sorts) weisen auf einstige Rodungstätigkeiten hin, ebenso der Name «Pro Cumegn», hat später «Promigiur» geheissen. [1]

Im Laufe der Zeit gelang es den Andeerern – wohl durch Kauf, Tausch oder Heirat – bereits von anderen urbarisiertes Land zu übernehmen, wie beispielsweise «Promigiur», «Cagliatscha», «Promigeli», «Pastgaglias», Areal am «Lai da Vons», die Alpen «Durnan» und «Ursera».

Die hin und wieder abschätzig geäusserte Ansicht, dass viele Bauern lieber um die Steine herummähen, statt diese aus ihren Grundstücken zu entfernen, mag ausnahmsweise stimmen. Jedenfalls haben alle uns vorangegangenen Geschlechter bei der Säuberung, Erweiterung und Verbesserung des nutzbaren Bodens Wesentliches beigetragen. «Ihre Taten hat kein Sang, kein Buch genannt», bezeugt der Dichter mit Recht.

Im 19. Jahrhundert wurden grosse Felsbrocken, die zerstreut in «Sut Mùnts» herumlagen, gesprengt und die Steine zur Eindämmung des Rheins verwendet. Der Hügel «Bot Muntschi» war ein kahler Felskopf. Er wurde mittels Sprengungen teilweise abgetragen und die ganze verbliebene Erhebung humusiert. [2] Auch die weiter oben erwähnten Rodungen waren beachtenswerte Leistungen.

Die Landschaft wurde also von fleissiger Menschenhand gestaltet. Sie bot aber keineswegs den gepflegten und einheitlichen Anblick wie heutzutage. Besonders störend wirkten die vielen lottrigen Zäune und wackligen Mauern mit ihren Feldtoren (furealas) auch Lucker oder Gatter genannt.

Auf die Abschrankung der Heimgüter wurde grosses Gewicht gelegt und deshalb fand alljährlich im Frühjahr zur Besichtigung derselben, eine von der Gemeinde vorgeschriebene Begehung statt und zwar stets am 23. April, dem St. Georgstag. Andeer kannte 44 Feldtore. Ihre Namen sind überliefert, aber der genaue Standort ist nicht mehr bei allen feststellbar. [3]

Das leicht abschüssige Gelände im Osten des Dorfes, also «Survis», «Clavada» und «Ruagn» war fast ausschliesslich für den Ackerbau vorgesehen. Vereinzelte Äcker waren auch anderswo angelegt. Sogar im unteren Teil des Maiensässes «Bagnusch» sind Spuren einstiger kleiner Äcker zu erkennen. Angepflanzt wurde Gerste (dumiac auch gran genannt), Roggen (sejel), Hafer (avagna), Weizen (salegn), aber auch Erbsen (arveglia), Bohnen (fava da Schons) und Hanf (tgoniv). Später kam noch der Kartoffelanbau hinzu.

Für das Rösten (meter a zup) des Hanfes wurden Teiche benötigt. Solche gab es in grosser Zahl in «Canies», «Laiets», auf Bärenburg und anderswo. Diese Tümpel und die damals noch zahlreich und ungestört durch die Fluren fliessenden kleinen Bäche waren ein gesegneter Garten Eden für die Amphibien. Namentlich der Froschreichtum muss erstaunlich gross gewesen sein. [4]

Kuhtränke im Dorfbrunnen, ca 1900

Auf die gute Bewirtschaftung der Äcker wurde besonderes Gewicht gelegt. Hingegen fehlte es oft an Dünger für die richtige Pflege des Wieslandes. Die vielen Pferde, die für die Bewältigung des Waren – und später auch des Reiseverkehr gehalten wurden, waren schlechte Dunglieferanten, weil sie ihre Abgänge oftmals nicht in den Ställen, sondern auf den Strassen absetzten.

«Ackerland darf nicht in Wiesland verwandelt werden». Dermassen lauteten die Vorschriften in den meisten Gemeindesatzungen. Die Bebauung wurde zwischen Korn, Hanf und Bohnen abgewechselt. Die Gemeinde verbot des Weiteren seinen Einwohnern Wiesen, Äcker und Alpanteile an Kauflustige ausserhalb der Dorfgemeinschaft zu verkaufen. Grund und Boden sollen der Einwohnerschaft erhalten bleiben.

Die klimatischen Verhältnisse im Schams erlauben einen für Gebirgsgegenden recht vielseitigen Anbau. [5] Für eine Ackerfläche von einer Are wurden ungefähr 2 Kilo Saatgerste benötigt und der Ernteertrag war 7-mal grösser, oft auch mehr.

Die früheren eher langsamen Arbeitsmethoden und die Selbstanfertigung vieler Geräte und anderer Gegenstände wie auch von Wäsche und Kleidung, bürgten für eine genügende Beschäftigung das ganze Jahr hindurch. Einfach, aber sinnvoll waren die Gebrauchsgegenstände. Zur Mithilfe wurden auch die Kinder nach Möglichkeit beigezogen. Ein Zeitgenosse berichtet 1845 hierüber: «Meine Ferienarbeit als 11-jähriger Knabe war mancherlei. Dem Vater musste ich nicht selten auf Feld und Flur oder auch ins Holz folgen und mit Hand anlegen. Mir war jede Arbeit recht und gut. Selbst das Kochen, wie es der Sommer bei uns erfordert, lernte ich von der Mutter, die lieber ungestört auf dem Feld fortarbeiten wollte, als sich mit Kochen aufhalten zu lassen, wenn die Arbeit drängte.»

Das Heuen ist wohl die wichtigste sommerliche Tätigkeit eines Bergbauern in unseren Breitengraden. Es wurde bis Mitte des 20. Jahrhunderts fast ohne technische Hilfsmittel bewerkstelligt. Der Landwirt war auf helfende Hände angewiesen. Dieses kurze Video aus den 1950er Jahren zeigt wie das Heu von unseren Vorfahren eingebracht wurde.

Mit dem Spinnen von Hanf und Wolle trachteten die Frauen und Töchter vor Neujahr fertig zu werden, damit nachher gewoben werden konnte.

Auf die Winterszeit fiel die Hausmetzg. [6] Diese diente der Selbstversorgung mit Fleisch, Talg, aber auch mit Häuten für die Anfertigung von Schuhwerk und Lederseilen (tretschas), etc.

Das Brot wurde vielfach selbst gebacken, obwohl im Dorfe seit alters her Bäckereien bestanden. Im Winter waren die erwachsenen, männlichen Hausbewohner mit der Besorgung des Viehs beschäftigt. Es galt auch das notwendige Brennholz für Küche, Backofen und Stubenofen im Wald zu richten, vor das Haus zu führen und dort aufzuarbeiten. Im Herbst und Frühwinter wurde das Dreschen des Korns vorgenommen.

Um drohenden Fehlernten wegen Dürre oder Frost begegnen zu können, setzte man folgende Mittel ein. Bei Frostgefahr – nach Aufzeichnung gewisser Chronisten- wurden an den Ackerrainen Feuer angefacht. Ob dies auch in Schams geschah, ist nicht bekannt.

Wo dies möglich war, wurden in trockenen Sommern die Wiesen künstlich bewässert. Auf romanisch hiess diese Tätigkeit «schuar igls pros». Die grosse Wiese «Tranter Flimma sut» wurde mittels eines Schöpfrades bewässert, welches sich das nötige Nass vom nahen Rhein beschaffte. Spuren der Bewässerungsgräben hatten sich bis in die neueste Zeit erhalten. [7]

Der Gebrauch von Kornhisten (caschners), welche zur Ausreifung des Korns dienten, war auch bei uns verbreitet. Der Flurname «Caschners» kommt in Clugin vor.

Die neue Knollenfrucht

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Landbau im herkömmlichen Sinne betrieben. Wann die Kunde von der neuen Frucht der Kartoffel- nach Schams gelangte, ist nicht überliefert. In Andeer soll es im Jahre 1801 gewesen sein (laut Aufzeichnungen von Pfarrer Matli Conrad). Jedenfalls brachte der Kartoffelanbau grössere Veränderungen mit sich und die Aussaat von Getreide schrumpfte immer mehr.

Die neue Frucht wurde nur zögernd gesetzt und oft wurde verächtlich von dieser Knollenpflanze gesprochen. Ein Zeitgenosse von Andeer weiss darüber zu berichten: [8]

«Im Herbst 1845 frappierte die Leute die zum ersten Male auftretende Krankheit der Kartoffel. Die Ernte dieser allgemein verbreiteten und nützlichen Frucht war auch so gering, dass viele sie, die Mühe des Ausgrabens nicht lohnend, im Boden liessen. Die ihrer Menge wenig estimierte (geschätzte) Kartoffel, mit welcher so schwer gesündigt wurde, kam durch diese Zuchtrute wieder zu Ehren. Das Gefühl der Versündigung an diese trefflichen Gewächse war allgemein.»

  1. Die Urbanisierung des «Pessens» erfolgte durch die Bürgergemeinde im Jahre 1842. Über die Abtretung dieses Gebietes an Andeer hatten die Landschaftsbürger zu befinden. Zehn Gemeinden stimmten dafür, dagegen Clugin, Donath, Patzen und Fardün. Das Tal wies damals 15 selbständige Nachbarschaften auf. Im Jahre 1848 besass Andeer 84 Gemeindelöser, davon waren im «Pessen» deren 16, auf «Tgavugl» 40, auf «Runtgeta» 5 und im «Pro dal’Aua» 23.
  2. Der Eigentümer, der die Arbeiten ausführte am «Bot Muntschi», war Tumasch Pedrett. Die infolge der Sprengungen gewonnenen Steine wurden teils zu Wuhrzwecken, teils zur Einfriedung des «Bot Radund» (Rundella) verwendet. Dies geschah um das Jahr 1880.
  3. Verzeichnisse der Lucken oder «furealas» stammen aus den Jahren 1590 und 1719.
  4. Im Frühjahr wurden die Frösche ihrer Schenkel wegen zu hunderten niedergemetzelt, aber eine Verminderung des Bestandes trat nicht ein. Heute fehlt den Fröschen und Unken vielfach die Möglichkeit ihren Laich in sichere, stehende Gewässer zu legen. Von der Werkschule wurden 1978 zwei künstliche kleine Teiche in «Carcadems» ausgehoben, was lobend erwähnt sei.
  5. Auszug aus dem Mahlregister des Kreises Schams: 1925: Pignia 1142 Kg, Wergenstein-Casti 1909 Kg, Zillis-Reischen 3340 Kg, Andeer 544 Kg, Clugin 409 Kg und Mathon 1377 Kg. Heute ist der Anbau von Getreide bei uns nicht mehr feststellbar.
  6. Geschlachtet wurden 1-2 Schweine, dann Schafe, Ziegen und oft ein Stück Grossvieh.
  7. Auch in Ausserferrera war ein Schöpfrad , welches man dort «roda da trer aua» nannte und anderswo auch einfach «la mecanica.»
  8. Aus der Lebensbeschreibung von Donatus Joos.