Eine Prophezeiung

Einst war das noble Geschlecht der Marchion (Martschun) in Schams sehr einflussreich und die Marchionhäuser in Donath, Zillis und Andeer zeugen vom Wohlstand der früheren Eigentümer. Auf der Höhe von Rang und Würde standen die Marchions in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Doch gerade damals weissagte ein Landschreiber aus unserem Dorfe:

«Es wird die Zeit kommen, da im Hause Marchion in Donath nicht einmal mehr Mäuse sich aufhalten werden und dem letzten Spross der Familie würden die Andeerer das Hüten ihrer Ziegen niemals anvertrauen.»

Es kam wirklich so, wie vorausgesagt. Das Geschlecht der Marchion im Schams war einige Jahrzehnte nachher verbraucht, verarmt und ging sang und klanglos unter.

Der letzte männliche Nachkomme seines Geschlechtes, J. F. Marchion in Andeer, hatte in Berlin die Hochschule besucht, galt als intelligent und belesen, aber jegliche Energie ging ihm ab. Körperliche Arbeit war ihm zuwider, sodass er zu nichts zu gebrauchen war, ausser dass er hin und wieder im Auftrage Dritter etwelche Schreibereien besorgte, die aber nicht viel einbrachten.

Er hatte in der «Tgea Gotschna», die er verkauft hatte, ein Wohnrecht für seine betagte Mutter und sich selbst ausbedungen, wo beide dahin serbelten. Sie trugen aber ihr Schicksal mit Gelassenheit und manche zutreffende oder gar heitere Bemerkung des letzten Marchion machte im Dorfe die Runde. Hier ein Beispiel:

«Ein Nachbar klagte, es gehe ihm nicht gut, er habe den Appetit verloren! Da meinte der verarmte Junker: «Das tut mir leid, aber wenn ich diesen nur nicht finde!» (me scha tgat betg’el)»

Die folgende Weissagung hat sich hingegen bis dato nicht erfüllt:

Ein fahrender Schüler (scular da la scola nera) sagte voraus, wo Andeer sei, sehe er in Gedanken eine steinige Alp und Zillis würden Geröll und Felsmassen auslöschen!