Das Taufregister
Dieses galt wohl als das wichtigste. Durch die Taufe wurde der kleine Erdenbürger in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen, deshalb wurde die Taufe schon wenige Tage nach der Geburt vollzogen.
Das Patenstehen war Verpflichtung. Ehrenwerte, angesehene Paten und Patinnen zu haben, war für jedes Kind von Bedeutung. In den alten Registern werden die Namen der Taufzeugen besonders genau verzeichnet, ebenso derjenige des Vaters, während die Mutter oft unerwähnt bleibt.
Heute werden meist nur noch zwei Taufpaten bestellt, früher waren es drei und bis vor 100 Jahren sogar deren fünf. War die Kinderschar in einer Familie gross, bereitete es manchmal den Eltern grosses Kopfzerbrechen, «Göttis» und «Gottas» aufzutreiben. Meine Grosseltern mütterlicherseits (Joos-Menn), die mit einer zwölfköpfigen Kinderschar gesegnet waren, mussten nach 60 Taufzeugen Umschau halten. In der Regel bekamen die Knaben drei Paten und zwei Patinnen, während es bei den Mädchen umgekehrt war.
Bei der Wahl der Taufnamen waren unsere Vorfahren weniger wählerisch und verschroben als heute. Während vielen Geschlechterfolgen lassen sich oft die gleichen Vornamen in einer Familie nachweisen. Ja, es gab Namen, die sogar für ein ganzes Dorf charakteristisch waren.
Um einer Familie oder einzelnen Glieder derselben eine besondere Ehre zu erweisen, wurden nicht selten auch Geschlechtsnamen als Vornamen gewählt oder auch, wenn ein Familiennamen am Aussterben war. Als Taufnamen verwendete Familiennamen sind zu nennen: Clopath, Wieland, Prevost, Durisch, Joos, Marchion, Mazolt, Jeli, Gundina, Janett, Janigg, Gondini, u.a.m.
Das Todesregister
Die Todesursache wurde in den alten Verzeichnissen, wie auch das Alter der Verstorbenen nur ausnahmsweise angeführt, z.B. wenn ein Unglücksfall die Ursache war. Allmählich aber versuchte man doch, das Ableben eines Menschen zu ergründen und als Ursachen werden etwa angeführt: Seitenstich, Entkräftung, Ableben, Wassersucht, Blutarmut, Kindsbett, Auszehrung, Schlagfluss, Geschwür, Atemnot, Herzschwäche, Gicht, Ruhr, etc.
Epidemien – früher auch «sterbende Läufe» genannt – hatten oft verheerende Folgen namentlich bei Kindern. Sie rafften grosse Teile der Bevölkerung dahin, besonders dann, wenn gleichzeitig Missernten und Kriegswirren die Widerstandskraft der Einwohner schon geschwächt hatten.
Sehr arglistig war das Jahr 1771, wie es ein solches seit 100 Jahren nicht gegeben habe, berichten die Chronisten.
In Andeer und Pignia starben 40 Menschen und im Folgenden nochmals 26, zusammen in zwei Jahren der zehnte Teil der Einwohnerschaft. [1] Einige Jahre später hauste eine böse Pockenseuche. Zwanzig Kinder fielen in Andeer dieser Krankheit zum Opfer.
Das letzte grosse Kindersterben in unserem Dorfe ereignete sich 1843. Damals erlagen 19 Kinder dem Scharlach. Seit jenem Jahr verlor die Kindersterblichkeit im früheren Sinne ihre Schrecken. Jahre mit besonders hohen Sterbequoten gab und gibt es immer wieder. Im Jahre 1868 segneten 21 Menschen in Andeer das Zeitliche. Als Todesursachen werden angegeben: Gehirnentzündung (5), Wassersucht (3), Blutsturz (1), Tuberkulose (5), Seitenstich (3), Selbstmord (1), Erkältung (1), Wöchnerin (1) und Abschwächung (1).
Nicht unerwähnt kann bleiben, dass tödliche Unglücksfälle, verursacht durch Rüfen, Lawinen oder beim Bergheuen, Holzen, Umgang mit Pferden oder Hüten des Viehs keineswegs selten waren.
Über die Totenbräuche liesse sich manches berichten. Sie mögen sich aber kaum stark von einem Ort zum andern unterschieden haben. Im Allgemeinen war man bestrebt, entgegen Gesetz und Ordnung, die Toten baldmöglichst zu beerdigen. Nur so konnte die Seele der Verstorbenen rasch zur Ruhe kommen, glaubte man.
Jeder Todesfall in unserem Dorfe wurde durch zwei junge Ansagerinnen, in schwarz gekleidet, in allen Häusern bekannt gemacht, dazu wann die Bestattung stattfinden werde. Man erwartete gemäss Brauch und Sitte, dass sich aus jedem Haushalt, mindestens ein erwachsenes Mitglied zur Beerdigung einfinden werde.
Um gewissen skandalösen Vorkommnissen entgegenzuwirken, wurden die üblichen Totenschauen und Totenwachen untersagt und 1854 die letzteren so geregelt, dass nur 3 bis 4 Personen diese ausüben durften. Derartige Vorschriften wurden nicht immer eingehalten.
Durch Gemeindeerlass wurde des Weiteren verfügt, dass die Abforderung der Leiche zur Beisetzung nicht mehr, wie bis anhin, durch den Messmer, sondern durch den Pfarrer zu geschehen habe.
Schmausereien (gemeint sind die üblichen Leichenmahle) sind so zu gestalten, heisst es in der Verordnung, dass nur die nächsten Verwandten, die auswärtigen Leichengänger, Pfarrer, Messmer und die Träger eingeladen werden dürfen.
Was die Klageweiber anbetrifft, sind in Andeer keine Erinnerungen an diese wach geblieben. Alte Leute wussten aber über das meist einfältige Gejammer dieser Basen noch zu erzählen, das in abgelegenen Dörfern noch zu hören gewesen sei. [2]
Im Jahre 1868 wurden die Familiengräber aufgehoben und die Bestattung der Toten hatte der Reihe nach zu erfolgen.
Wer freiwillig aus dem Leben schied, also den Freitod wählte, galt als Schwerverbrecher. Hinweise in den Todesregistern – sofern Eintragungen dieser Art überhaupt vorgenommen wurden – offenbaren die damalige grausame Gesinnung gegen Selbstmörder und deren Familien.
Da steht z.B. in einem Kirchenbuch vermerkt:
«Anno 1698 habe X.Y. mit einem Messerstich in den Hals sich entleibt. Angesichts eines solch schrecklichen Verbrechens hätte der Genannte es verdient, vom Henker unter dem Galgen verscharrt zu werden. Auf Bitten seiner Freunde und Entrichtung einer Geldsumme sei dem Verstorbenen als letzte Ruhestätte ein Platz an der Aussenseite der Friedhofmauer zugewiesen worden.»
In unserem Dorfe ereignete sich ein Vorfall, der viel zu reden gab. Anno 1689 im Februar fand die Beisetzung von E.C. statt, der angeblich eines natürlichen Todes gestorben war. Dem war aber nicht so. Der erwähnte Mann hatte sich in der Kirche erhängt, und zwar an einer Zugstange, die hoch über dem Taufstein von einer Kirchenwand zur andern angebracht war.
Um Schande, Verachtung und weiteres Ungemach abzuwenden, trachteten die Angehörigen des verstorbenen E.C., den wahren Sachverhalt zu verheimlichen, was ihnen auch beinahe gelungen wäre. Erst viel später, im darauffolgenden Jahre, schaltete sich die Obrigkeit ein und wollte die Exhumierung des Selbstmörders und die Beisetzung desselben ausserhalb des Friedhofs veranlassen.
Schliesslich sah das Gericht von der Versetzung der Leiche ab und dies auf inständige Bittgesuche der Verwandten und Freunde des Toten. Dieser Gnadenakt wurde mit einem richterlichen Spruch wie folgt begründet: «Der des Selbstmordes bezichtigte habe einen vorbildlichen Lebenswandel geführt, Waisen und Witwen geholfen und hinterlasse eine Schar unmündiger Kinder. Die Verwandten sollen aber eine Strafe von Fl. 100 entrichten und auch für die übrigen Unkosten aufkommen. Man kann also wohl von einem Gnadenakt sprechen, der aber teuer erkauft werden musste.
- In Mathon/Wergenstein starben 1771 34 Menschen und am unteren Schamserberg 36. Hingegen weisen die Hungerjahre 1807/08 keine überdurchschnittliche Zahl von Todesfällen auf. ↑
- Eine überlieferte Klageweise lautete:«El è mort igl Teas Schamun, el era igl Teas um, tant egn beal, egn pardert ad egn bun … parfin la vatga cugl zampun ca cloma: Schamun Schamun!» ↑