Aus dem Rheinwald stammend nahm wohl Andris Hoessli (Hoessly) als erster dieses Geschlechtes in Andeer Wohnsitz, wo er sich 1743 einbürgerte. Gemäss Überlieferung betätigte sich derselbe und seine Brüder als Zimmerleute. 0b diese das Holzhaus bei «Mulegn» [1] erbauten und dort zuerst wohnten, wie etwa angenommen wird, ist nicht belegt. Hingegen steht fest, dass bereits 1754 von einer Mühle Hoessli die Rede ist, wobei es sich wahrscheinlich um das heutige gemauerte alte Haus hinter dem Doppelhaus handeln dürfte. Der Volksmund weiss zu berichten, dass diese Leute aus dem Rheinwald fleissig und genügsam gewesen seien und sogar nachts noch auf ihrer Säge tätig waren.
Der eigentliche Gestalter und Förderer des unter dem Namen «Gebrüder Hoessli» später weitherum bekannten Unternehmens war Philipp Hoessli. Bereits sein Grossvater scheint initiativ veranlagt gewesen zu sein, berichtet doch Pfarrer Matli Conrad über diesen:
«Eine Fabrik von Makkaronen und Fidelen, die Conradin Hoessli in Andeer hält, hat starken Absatz und verkauft die Krine zu 28 – 30 Kreuzer.» [2]
Über die Jugendjahre von Philipp ist wenig bekannt. Als junger Mann war er Hilfslehrer in Andeer bis er dann später fest angestellt wurde. In der Hauptsache erteilte er Unterricht in romanischer Sprache. Mit seinem ebenfalls gesangsfreudigen Bruder gehörte Philipp zu den Mitbegründern des ersten eigentlichen Singvereins (Gemischter Chor).
Später als gereifter Mann wurde Philipp Hoessli auch politisch tätig und das Schamservolk wählte ihn 1859/61 zu seinem Landammann (Mastral) anlässlich der sogenannten «bösen Landsgemeinde» (Cumegn nosch)
Philipp Hoessli verehelichte sich 1837 mit Menga Saxer. Diese von Haus aus mittellos, hatte das Glück gehabt, vom begüterten Junker de Schorsch in Splügen an Kindesstatt angenommen zu werden. [3]
Infolge dieser Heirat konnte dann Philipp eine sehr grosse Erbschaft antreten. Neben ausgedehntem Grundbesitz in Splügen gehörte dazu z.B. die Hälfte des dortigen Hauses de Schorsch. Des Weiteren umfasste das Vermögen des Junkers Kapitalien in der Höhe von etwa 80’000 Gulden.
Tatkräftig und nunmehr auch reich wurde Philipp Hoessli eine beachtliche Karriere als Geschäftsmann und Unternehmer vorausgesagt. Ihm treu zur Seite stand seine Frau, klein von Gestalt, aber tüchtig und wehrhaft. Unter dem Namen duna Mengia war sie im Dorfe geachtet und wohlgelitten.
Der Wahrheit zu liebe darf jedoch nicht verschwiegen werden, dass Philipp Hoessli mit den Untugenden seiner Zeit – nämlich der liberalen Ära reichlich behaftet war. Sein Gebaren war oft rücksichtslos, wenn es galt geschäftliche Vorteile zu erzielen. Durch eigenes Verschulden oder durch solches anderer geriet er oft in aufwendige Auseinandersetzungen, die ihm sehr schadeten.
Im Jahre 1838 begann Philipp mit dem Bau der neuen Mühle «Mulegn» und zwar zunächst mit dem südlichen Teil derselben. Er hatte erkannt, dass ein grösserer Müllereibetrieb lohnend sein könnte. Dabei war sein Ziel nicht eine Bauern- oder Kundenmühle im landläufigen Sinne zu betreiben, sondern eine Handelsmühle, welche die letzten Errungenschaften der damaligen Technik auf diesem Gebiet zu Nutze zog. Die Getreideernten von Andeer und Umgebung hätten nicht genügend Mahlgut liefern können, um eine derartige Mühle auszulasten und deshalb wurde viel Korn von Italien eingeführt. Im Neuen Gebäude fanden drei Mahlgänge Aufstellung und in der alten Mühle standen noch zwei weitere, die nötigenfalls eingesetzt werden konnten.
Nach dreijähriger Bauzeit (1838-41) [4] waren auch die dem Südflügel des Hauses beigefügten Erweiterungsbauten bestehend aus einem Mittel und Nord Bau bezugsbereit: Am Säge- und Mühlebach «Rùncs» besass das Unternehmen 3/5 der Wasserrechte und diese billige Wasserkraft sollte möglichst gründlich und vielseitig genutzt werden. [5] Auch die Abteilung für die Teigwarenherstellung wurde erweitert und neuzeitlich eingerichtet. Im grossen Doppelbau war nun mehr Platz für Wohn- und Geschäftsräumlichkeiten, ebenso für Heu- und Viehställe. Zeitweilig war in der Mühle auch eine Werkstatt für die kommerzielle Anfertigung von Kerzen untergebracht.
Sodann gehörten seit alters her zum Komplex der Mühle eine Säge und eine Walke. Zusätzlich übernahm Philipp Hoessli die Ausführung grösserer Holzschläge und stellte, wo die Verhältnisse es erlaubten, bewegliche mit Wasserkraft betriebene Sägewerke an Ort und Stelle auf. Seinerzeit hatte er vier solcher Sägen in «Sogn Martegn» (Ferrera) in Betrieb.
Mehrere Jahre war die Postpferdehalterei in Händen von Philipp Hoessli. Seine zweier, vierer und fünfer Pferdezüge wurden gern gesehen, da er darauf bedacht war, seine Gespanne so zusammenzusetzen, dass die Pferde in Bezug auf Typ, Haltung und Farbe zusammenpassten. Als die Stallungen in der Mühle räumlich nicht mehr genügten, liess der genannte Postpferdehalter den grossen Stall im Unterdorf, der vierzig und mehr Pferde aufnehmen konnte, erbauen. Hundert Jahre später, nämlich im Jahre 1965, wurde dieser grösste Stall des Dorfes auf der «Quadra» wieder abgetragen.
Es versteht sich, dass ein derart breit gefächertes Unternehmen wie das beschriebene während Jahren für Andeer wirtschaftlich von grosser Bedeutung war. Arbeitsplätze gab es im Haushalt, in der Landwirtschaft, in der Müllerei, in der Teigwarenfabrik, bei der Postpferdehalterei auf der Säge, bei Holzschlägen und Fuhren.
Das Unternehmen Hoessli, das vielversprechend angefangen hatte und des Öfteren erweitert werden konnte, erfreute sich jedoch einer nicht sehr langen Blütezeit.
Philipp Hoessli – die Seele des Unternehmens – starb im Jahre 1877 an den Folgen eines Schenkelbruches und dies zu einer Zeit da die Geschäftslage bereits dem Untergang geweiht war, wobei die baldige Eröffnung der Arlberg- und Gotthardbahn für die wirtschaftliche Lage unseres Tales nichts Gutes ahnen liess. Drüben in der Gegend «Mulegn» wurde es immer stiller. Das Plätschern und Rauschen der schweren Wasserräder verstummte für immer. [6]
Ein späterer Versuch, unter dem Namen «Pension Beverin», aus der Mühle ein Hotel zu machen, scheiterte. Wohl gefiel den Gästen die ruhige Lage und die weitere Umgebung aber das Haus selbst war ohne umfassende Umbauten für ein Gasthaus ungeeignet.
Von den früheren Einrichtungen der Mühlen und der Teigwarenfabrik sind noch heute einige Zeugen erhalten. Beispielsweise sind die Mühlsteine, die Wahrzeichen des Ortes noch zu sehen, etwa ein Dutzend an der Zahl. Darunter befinden sich zwei rote Steine aus Mels.
Seinerzeit wurde ein dortiger Felsbrocken von sechs Pferden nach Andeer gebracht, wo dieser zu Mühlsteinen verarbeitet wurde. Der Andeerer Granit, weil hart und spröd, eignete sich nicht besonders, um daraus gute Mühlsteine zu gewinnen.
Im Jahre 1911 kaufte mein Vater Ivan Ragaz das Doppelhaus mit dem dazugehörigen Umschwung. Das Haus wurde nach und nach ausgebaut und der Garten hergerichtet. 1927 wurde es aufgestockt und es bekam ein neues Dach. Der Südteil diente unserer Familie als Wohnhaus. Der Nordteil wurde während dreissig Jahren bis 1978 als Ferienkolonie für Kinder minderbemittelter Eltern aus Zürich vermietet.
Eine Redensart lautet: «Vom gestürzten Baum will sich jedermann Holz holen.» Die Wahrheit dieser Worte mussten auch Philipp Hoessli bzw. seine Erben erfahren. Es gibt bekanntlich immer wieder Leute, die gerne im Trüben fischen.
Ein Geschäftspartner trat mit einer gewaltigen Forderung auf den Plan. Eine nähere Prüfung dieser Rechnung ergab, dass grosse Abstriche für bereits Bezahltes vorgenommen und des weiteren Gegenforderungen geltend gemacht werden konnten. Zu Gunsten des «cleveren» Geschäftsmannes fiel die Ernte schlussendlich mehr als mager aus.
Auch der damalige Gemeindevorstand war der Ansicht, es gehöre zu seinem Aufgabenkreis, Einsicht in die Buchführung der Firma zu nehmen. In der oberen Stube im «Mulegn» liess er sich die Unterlagen vorweisen und verursachte durch den unvorsichtigen Umgang mit Raucherwaren einen schwelenden Brand, der erst anderntags entdeckt und gelöscht werden konnte. Beim Umbau der Mühle 1911/13 waren die erwähnten Brandschäden am Fussboden und am Täfer noch erkennbar.
Beachtliches Aufsehen erregte, und dies weit über die Grenzen unseres Tales, eine prozessuale Auseinandersetzung, die die Erbengemeinschaft führen musste, um zu ihrem Recht zu kommen. Die Streitsache als solche – es ging um die Rückforderung eines zu Unrecht zurückgehaltenen Faustpfandes soll hier nicht aufgerollt werden. Es sei vielmehr auf die Trödelei verwiesen, gegen welche der Vertreter der Erbengemeinschaft Hoessli ankämpfen musste, bis er endlich vor Kantonsgericht vollumfänglich obsiegte.
Der Rechtsvertreter sah sich gezwungen zweimal an die Regierung zu gelangen, weil der Schlendrian des Bezirksgerichtes bzw. der einzelnen Richter einer Rechtsverweigerung gleichkam. Schliesslich machte die Klägerpartei ihrer Verärgerung Luft, indem sie die Verschleppungsmanöver öffentlich anprangerte, und zwar in den Zeitungen im «Freien Rätier» und der «Neuen Zürcher Zeitung». Wohl versuchten die angegriffenen Richter sich reinzuwaschen aber mit geringem Erfolg. Ihre Drohungen, eine Klage wegen Ehrverletzung einzureichen, setzten sie wohlweislich nicht in die Tat um.
Einige kurze Auszüge aus den schweren Anschuldigungen, die die Erbengemeinschaft erhob, sollen hier wiedergegeben werden.
«Es ist vielleicht für manchen nicht ohne Interesse aus einem speziellen Fall zu erfahren, auf welche Weise hie und da im lieben Vaterlande die Rechtspflege ausgeübt wird. Beim Bezirksgericht Hinterrhein wurde schon am 4. August 1878 ein Prozess hängig gemacht, welcher heute 1882, noch nicht behandelt worden ist. Infolge Ausstandes des Präsidenten war die Leitung des Bezirksgerichtes in dieser Sache in Händen eines der Richter, welcher etwa eineinhalb Jahre lang die Akten ruhig behielt und sie darauf seinem Nachfolger übergab. Dieser folgte dem Beispiel des Vorgängers, indem er sie circa ¾ Jahre einfach liegen liess und dann erst mit Hinweisung auf verwandtschaftliche Verhältnisse einem weiteren Nachfolger zuschob. Die gesetzlich deponierte Vertröstung war unterdessen an den Fingern des ersten Richters hängen geblieben.» … und an anderer Stelle steht zu lesen: «Nun beurteile man, ob eine solche Justizverweigerung nicht eine Schande für die kantonale und auch für die schweizerische Rechtspflege sei.»
Der «Volksfreund», eine andere Zeitung, bemerkt dazu:
«Das ist starker Tabak. Es ist eben auch hier manches faul… politischer Einfluss und Machtstellung werden leider auch bei uns zu Privatzwecken genutzt etc.»
- Das Haus Bartolome Mani-Grischott beim Aufgang zu «Plan Bi». Dieses wurde 1985 abgerissen. ↑
- Matli Conrad, «Neuer Sammler», «Die Beschreibung des Schamsertales.» ↑
- Die Überlieferung weiss, dass seine schlaue Haushälterin dem Junker angegeben habe, dass sie ein Kind von ihm erwarte. Dies bewog den Genannten den Schritt zum Altar zu tun. Die Ehe blieb aber kinderlos, weshalb dann Menge Saxer adoptiert wurde, die beide Eltern verloren hatte. ↑
- Anlässlich der Bauarbeiten ereignete sich ein bedauerlicher Unfall. Am 27. Juli 1841 nachmittags um ein Uhr fiel der 31-jährige Jakob Lehner vom neuen Gebäude der Gebrüder Hoessli, mitsamt Gerüst und wurde erschlagen. ↑
- Siehe auch Abschnitt: «Wassernutzung» ↑
- Als letzter hatte noch Jakob Götti einige Zeit die alte Mühle in Betrieb genommen, bis er nach Clugin umsiedelte. ↑