Bekanntlich steht unsere Bevölkerung «Novitäten» argwöhnisch ja sogar ablehnend gegenüber. Dies war auch der Fall in Bezug auf die Einführung der Märkte.
Die Gemeindebehörde befürchtete mit Recht eine geringe Auffuhr und deshalb einen Misserfolg. Kurzerhand wurde der Auftrieb für alle Tierhalter als verbindlich erklärt. Je nach der Grösse der Viehhabe war jedermann verpflichtet, und zwar unter Bussandrohung, Tiere auf den Markt zu treiben. Diese Vorschrift zeitigte insofern Erfolg, als der Marktplatz voll besetzt war mit Klein- und Grossvieh aller Gattungen, verkäuflich war aber nur ein bescheidener Teil davon. Eine derartige Marktlage war den anwesenden Händlern unerklärlich und manch einer schüttelte missbilligend sein Haupt. Die Andeerer ihrerseits nahmen die bissigen und spöttischen Bemerkungen mit Gelassenheit entgegen. Jedenfalls lieferte dieser erste Markt noch lange Zeit Unterhaltungsstoff.
Der Gemeindevorstand kam dann vom «Marktzwang» ab und die Märkte entwickelten sich auch ohne behördliches Dazutun. [1]
Die Bekanntmachung der Märkte geschah im kantonalen Amtsblatt und in der «Bündner Zeitung». Zusätzlich wurde noch ein Ausrufer durch alle Dörfer des Tales gesandt, der die Märkte rechtzeitig und lautstark ankündigte.
Marktplatz war ursprünglich «Tranter Flimma sura», nachher die Wiese im «Stoc» und schliesslich bis auf den heutigen Tag die «Quadra». Im Gegensatz zu Thusis, dass ein betriebsamer Marktflecken wurde, brachten die Märkte für Andeer keine grossen Vorteile. [2] Aber auch die Nachteile blieben aus, von denen in früheren Zeiten die grossen Marktorte betroffen wurden. Sie waren oft der Schauplatz von hitzigen Auseinandersetzungen und wüsten Schlägereien, woran sich oft eine Mehrzahl von Marktgängern, ja ganze Dorfschaften beteiligten. Rauflustigen Gesellen in Thusis wurde empfohlen, ihre Zwistigkeiten jenseits der Nolla auszutragen, also auf damals noch Schamser Boden. Dort sehe niemand zum Rechten und die Gefahr einer Bestrafung sei gering. Durch eine so genannte Vereinbarung zwischen Schams und Thusis gelangte das Übernollagebiet an Thusis. Die Landschaft Schams erhielt als Entschädigung, man höre und staune, ganze 1200.- Franken! So geschehen anno 1870.
Doch zurück zum Markt in Andeer. Dort ging es recht gesittet zu. Nur der Schulrat hatte sich des Öfteren mit Kindern zu befassen, die den Verlockungen der ausgestellten Äpfel, Birnen und Zwetschgen nicht widerstehen konnten und solche stibitzten.
- Im Jahre 1887 forderte Andeer, einen zweiten Markt im Oktober. Diesem Gesuche wurde aber seitens der Regierung nicht entsprochen. ↑
- In Thusis war der Auftrieb am ersten grossen Herbstviehmarkt zwischen 3000 – 4000 Stück Vieh. Schon Tage vor Beginn des Marktes war grosses Treiben. Der Grossteil des Viehs musste im Freien bleiben. Der damalige Markt in Thusis hatte eine grosse Anziehungskraft auf weite Gebiete unseres Kantons und wurde zum grössten Braunviehmarkt. Seit Jahren ist ein rückläufiger Auftrieb feststellbar, sodass die Stadt Ilanz als Marktort Thusis oft überflügelt. ↑